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Das Hohelied der Vernunft

singt so mancher Philosoph, oft - so will mir manchmal scheinen - mit autosuggestivem Unterton.

Ich finde es nämlich durchaus fraglich, ob wir da tatsächlich über ein so hohes Gut verfügen, wie es diese Philosophen preisen.

Cartesius war der Ansicht, die Vernunft sei allen Menschen gleichermaßen gegeben. Dass er mit einem solchen Ausspruch breite Zustimmung finden musste, liegt auf der Hand; wer will schon gerne ein unvernünftiger Trottel sein??? Man darf also wohl zu Recht annehmen, dass es gerade die größten Blödmänner sind, die am lautesten: "Recht hat er!" brüllen.

Kant meinte erKANnT zu haben, dass die Vernunft es sei, die uns wollen lasse, weshalb wir bei vernünftiger Verwendung derselben durchaus nur das Vernünftige, ergo: das Gute, wollen würden. Nein nicht ganz, wir sollen das Gute wollen, dass hat er für uns erKANnT- ein Imperativ ist ja ein Befehl!

Dazu wiederum sagte Schopenhauer: "Sollen wollen! - Hölzernes Eisen!" oder so ähnlich und lachte sich krumm.

Für Hegel war Vernunft sowas wie "das Ding an sich", der "Weltgrund", der "reine Gedanke" - der Begriff ohne (vor aller?) Anschauung -, der dann wieder andere Gedanken denkt - natürlich genauso substanzlose... Vor allem war der Gedanke da; das kann man jetzt verstehen wie man möchte, wenn man versteht was darunter verstanden werden kann ..

Vielleicht ist es ja durchaus unvernünftig, aber mir sagt keine der oben angeführten Betrachtungsweisen zu.

An dem Ausspruch des Cartesius irritiert mich, dass von einem so reichlich vorhandenen Gut so wenig Gebrauch gemacht wird. Vielleicht ist es jedoch einfach ZU reichlich vorhanden und das Überangebot drückt auf den Absatz, schließlich leben wir ja in einer marktwirtschaftlich geordneten Gesellschaft.

Ehe ich mich hier aber mit den anderen anlege, will ich vorausschicken, was wir meiner Ansicht nach, über das, was wir Vernunft nennen, überhaupt aussagen können. Und zwar auch heutzutage im Wesentlichen nicht viel mehr, als auch Schopenhauer (kein protestantischer Pfarrerssohn) darüber zu sagen wusste.

Vernunft als eine dem Menschen eigentümliche Verstandesfunktion ist im wesentlichen das Vermögen, auf Anschauungen nicht nur dann zu reagieren, wenn sie unmittelbar durch die Sinne gegeben sind, sondern, vermittels der Einkleidung der Anschauungen in Begriffe, mit diesen abstrakt zu arbeiten, also ihrer Gegenwart nicht zu bedürfen. Das bedeutet für den Menschen, über eine Dimension mehr zu verfügen, als andere ihm bekannte Lebewesen. Die erste Dimension ist Wahrnehmung an sich, z.B. hell/dunkel, laut leise, hart/weich, die zweite ist Wahrnehmung des Raumes, also oben/unten hinten/vorne, nah/fern. Bei diesen beiden Dimensionen handelt es sich um rein sinnlich erfahrbare. Diese Form der Wahrnehmung setzt Verstand voraus, wie ihn auch Tiere besitzen. Die dritte Dimension aber, die Wahrnehmung der Zeit, geschieht vermittels des Intellekts (der Vernunft). Denn in ihr können wir uns sinnlich nicht bewegen, jedenfalls nicht willkürlich, sind wir an die Gegenwart gefesselt. Allein der Intellekt erhebt sich über die Gegenwart und macht die Vergangenheit ebenso wie Zukunft (als Möglichkeit) gegenwärtig, der Intellekt enthebt uns aber nicht nur des Gebundenseins an zeitliche, sondern auch der Notwendigkeit räumlicher Gegenwärtigkeit.

Vernunft als ein Mittel zur Willenslenkung. Ich bin der Ansicht, dass unsere Willensakte nicht in der Vernunft wurzeln, sondern sie vielmehr Auslöser des Vernunftgebrauches sind. Wenn wo ein Wille, auch ein Weg ist, dann ist einer dieser Wege der Weg der Vernunft, ein anderer der der Gewalt, wobei die beiden sich nicht unbedingt ausschließen müssen. Unter bestimmten Umständen kann Gewaltanwendung durchaus als vernünftiges Mittel erscheinen.

Appelle an die Vernunft sind in der Regel (getarnte) Appelle an den Willen und wirken dann am besten, wenn sie mit der Aussicht, dass durch zeitweiligen Verzicht auf Willenserfüllung, genau diese Erfüllung zu einem späteren Zeitpunkt um so vollständiger eintreten werde, verknüpft sind. In Wirklichkeit bewegen (besser: bewirken) aber nur Appelle an das Gefühl etwas; der Vernunftappell ist letztlich nur erfolgreich, weil und wenn er mittelbar auf das Gefühl wirkt. Er beschämt zum Beispiel, weil er vorhergegangene Unvernunft aufdeckt. Nicht die Vernunft als solche also ist das Wirkende, sondern vielmehr das Gefühl der Scham 1).

Wenn ich selber nicht will, dann kann ich mir auch keinen (eigenen) Willen herbeivernünfteln, ich kann mich aber ("vernünftigerweise") einem fremden Willen beugen. Das ist dann die kantische "du sollst" Haltung. Vernunft ist also wohl am ehesten etwas wie ein Mittel oder Werkzeug zur Willenslenkung, bzw. Willensübermittlung. Denn ohne ein "Ich will!" oder "DU sollst! (weil ICH es will!)" geschieht aus "reiner Vernunft" rein gar nichts. Tun und lassen an sich hat zum Ursprung entweder (eigenen) Willen oder Furcht (vor fremden Willen). In vielen Fällen, ist das, was als Vernunft bezeichnet wird also nichts wesentlich anderes als "Raison" 2).

Vernunft als ein Mittel der Rechtfertigung, wobei man sich diesen Begriff ruhig mal etwas näher betrachten sollte: Recht fertigen = sich sein Recht passend machen = in Einklang mit dem (eigenen) Willen bringen?

Vernunft als Mittel der Zurechtweisung 3): Wenn der Gegner "unvernünftig" ist, kann er sich nicht rechtfertigen (Recht fertigen!) - solange jedenfalls nicht, wie er dem hehren Ideal der Vernunft in seiner gegebenen Ausprägung zuwiderhandelt.

Vernunft als Konsens: Es gibt keine Vernunft an sich, sondern eine vereinbarte Vernunft (zumindest was "vernünftiges Verhalten" angeht, die (biologische) Funktion selbst bleibt natürlich davon unberührt.)

Vernunft als Mittel moralischer Lenkung: Das ist der Kantische Knackpunkt; es ist nämlich keineswegs so, dass uns Moral vermittelst reiner Vernunft gegeben wäre sondern Moral ist eine Frage gesellschaftlichen Übereinkommens; da aber moralisches Handeln (innerhalb des Vereinbarungsbereiches), als durch und durch vernünftig gilt, ist also auch Vernunft reine Verhandlungssache. Gelten andere moralische Prinzipien, wird also auch anderes Handeln als vernünftig gebilligt.

Vernunft als Mittel der Willensverschleierung und der Selbsttäuschung: "Rationale" Gründe werden häufig irrationalen Beweggründen (dem was man WILL) vorgeschoben. Man tut oder kauft nicht einfach was man will, sondern nur wofür man "vernünftige" Gründe hat. Diese Gründe sind aber allzuoft nachträglich erfunden. bzw. werden parallel zum immer stärker werdenden Wunsch irrationalen Ursprungs konstruiert. Auch hier finden wir also eine Rechtfertigungsfunktion.

Darüberhinaus frage ich mich, ob es nicht vielleicht so ist, dass hier eine ohne Zweifel gegebene und wertvolle Funktion des menschlichen Intellekts maßlos überschätzt wird, ja ob diese pietistischen Pastorensöhne des 18. und 19. Jahrhunderts überhaupt ein Gefühl für die Sinnlichkeit ihrer selbst und ihrer Mitmenschen und den Wert des Sinnlichen, als Teil dessen, was einen Menschen ausmacht, zu entwickeln vermochten, oder sie nicht vielmehr auf der Flucht vor ihrer einen "Hälfte" die andere einfach über diese erhoben haben.


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